Die Vorlage enthält diverse Fördermassnahmen, die einen rascheren Zubau erneuerbarer Energien wie Wasser, Photovoltaik und Wind ermöglichen. Das ist für die Dekarbonisierung dringend notwendig. Allerdings wird in der Schweiz bis 2050 von einem Strombedarf in der Höhe von 80 bis 90 Terrawattstunden (TWh) ausgegangen. Sollte bis dann keine neue Produktion zugebaut und die Kernenergie wegfallen, würde die inländische Produktionsleistung nur noch rund die Hälfte des Strombedarfes decken. Es sind weitere Massnahmen nötig, um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten.
Mit dem Mantelerlass ist ein wichtiger Meilenstein erreicht. Allerdings löst er das Versprechen einer sicheren und für die Bevölkerung sowie die Industrie wirtschaftlich tragbaren Stromversorgung nicht ein. Nachfolgend sind die dafür zusätzlich notwendigen Massnahmen skizziert:
Stromnetz
Für eine viel höhere Einspeisung aus dezentraler Stromproduktion auf der Verteilnetzebene sind unsere Stromleitungen nicht ausgelegt. Anpassungen auf allen Spannungsebenen sind unerlässlich, sonst drohen Netzengpässe und ein instabiler Systembetrieb. Die Planungs- und Bewilligungsprozesse für den Netzausbau müssen deshalb beschleunigt werden.
Strommarktöffnung
Die ursprünglich vorgesehene, vollständige Strommarktöffnung hat das Parlament aus dem Mantelerlass gestrichen. Die Schweiz wird aber nicht um diesen Schritt herumkommen, sagt Swissmem. Das aktuelle Strompreisumfeld zeige deutlich, dass ein offener Markt Vorteile für alle bieten würde. So sind die Tarifanpassungen in der Grundversorgung für 2024 regional sehr unterschiedlich ausgefallen. Weil jedoch die Kunden in der Grundversorgung gefangen sind, können sie ihren Anbieter nicht wechseln. Eine Strommarktöffnung wäre ein Befreiungsschlag. Die Erfahrungen aus der Liberalisierung anderer Märkte zeigen, dass damit die Innovation sowohl auf der Ebene der Technik als auch der Geschäftsmodelle angekurbelt wird. Zudem ist die Strommarktöffnung eine Grundvoraussetzung für ein Stromabkommen mit der EU. Ein solches braucht die Schweiz dringend, um die Netzstabilität sicherzustellen.
Wirtschaftlich tragbare Stromversorgung
Ein Blick nach Deutschland hilft bei der Beurteilung, ob der eingeschlagene Weg kostengünstig ist. Der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik ist in Deutschland europaweit einzigartig. So bestehen bereits 30.000 Windräder, welche einen substanziellen Beitrag zur Stromversorgung leisten. Der Ausbau wird sogar noch beschleunigt. Bemerkenswert ist allerdings, dass Deutschland neue (wasserstofftaugliche) Gaskraftwerke mit einer Leistung von 25.000 MW zuzubauen plant. Das entspricht einer Leistung von 25 Kernkraftwerken in der Grösse von Gösgen. Diese braucht es als Ersatz der zahlreichen Kohlekraftwerke sowie als Back-up für den Fall von «Dunkelflauten». Das sind Zeiträume, in welchen Wind und Photovoltaik zusammen zu wenig Strom liefern, um den Verbrauch zu decken. Diese Reservekraftwerke sind die Konsequenz des massiven Ausbaus volatiler Stromerzeugung. Kostengünstig ist das keinesfalls. Sie müssen finanziert, gebaut und unterhalten werden, auch wenn sie jeweils nur für kurze Zeit im Betrieb sind. Daraus resultieren enorme Fixkosten, welche die Verbraucher tragen müssen. Je höher der Anteil volatiler Stromerzeugung ist, desto höher wird der Bedarf an Reservekraftwerken. Die Systemkosten werden sich damit laufend erhöhen, so dass die Strompreise (als Summe von Energiepreis und Netznutzungsgebühr) insgesamt deutlich steigen werden.
In diesem Zusammenhang ist wichtig zu wissen, dass der Mantelerlass bis 2050 von Produktionskapazitäten für erneuerbaren Strom (ohne Wasserkraft) in der Höhe von 45 TWh ausgeht. Das entspricht der Hälfte des dannzumal erwarteten Stromverbrauchs. Die für eine sichere Stromversorgung nötigen Reservekapazitäten sind aber noch in keiner Weise eingerechnet. Im Interesse der Bevölkerung sowie einer wettbewerbsfähigen Industrie ist die Politik gut beraten, ein sorgfältiges Auge auf die Entwicklung der Stromkosten zu werfen. Der Zielwert von 45 TWh erneuerbarem Strom könnte sich als viel zu hoch erweisen, sollten die Kosten der Back up-Kapazitäten aus dem Ruder laufen. Dann sind rechtzeitig Anpassungen an der Zielsetzung vorzunehmen.
Technologieoffenheit: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist für eine sichere Stromversorgung wichtig. Eine Fokussierung auf «erneuerbar» ist jedoch zu eng. Die Stromerzeugung muss vor allem klimaneutral sein. So können eine Reihe weiterer Optionen im künftigen Strommix berücksichtigt werden. Dazu zählen insbesondere die Kernkraft sowie CO2-Abscheidungs- und -Speichertechnologien. Technologieoffenheit ist deshalb unabdingbar.
All diese Aspekte zeigen deutlich, dass mit dem Mantelerlass nur ein erster Schritt gelungen ist. Im Interesse einer sicheren und für die Bevölkerung sowie die Industrie wirtschaftlich tragbaren Stromversorgung müssen zwingend weitere folgen.