«Verpackungs-Industrie» sprach mit Tobias Leischner, CEO von Bourquin SA, über aktuelle Entwicklungen in der Branche und über die grossen Herausforderungen, die die Schweizer Verpackungswirtschaft beschäftigen.
Verpackungs-Industrie: Herr Leischner, Sie sind seit vielen Jahren in der Verpackungsindustrie tätig. Was hat Sie ursprünglich in diese Branche geführt, und was begeistert Sie heute noch an Ihrer Arbeit?
Tobias Leischner: Wie viele in der Branche bin ich durch mein Elternhaus geprägt worden und so in die Verpackungswirtschaft hineingewachsen. Ich habe in München Papier- und Kunststoffverarbeitung studiert, und was für mich damals den Ausschlag gab, in der Branche zu bleiben, war das Jobangebot: Auf einen Absolventen kamen drei Arbeitsplätze. Das war damals sehr reizvoll.
Heute ist die Branche viel bedeutsamer geworden, besonders seit der Pandemie. Früher wurde eine Verpackung oft als Abfallprodukt betrachtet. Was viele nicht wissen, Verpackungen sind – wie Lebensmittel – systemrelevant. Dennoch bleibt die Verpackung in der öffentlichen Diskussion oft im Hintergrund, etwa wenn es um den allgegenwärtigen Fachkräftemangel geht. Dabei sind wir alle täglich mit Verpackungen konfrontiert, ob beruflich oder privat. Für mich ist es immer noch faszinierend, wenn ich beim Einkaufen Verpackungen sehe, die ein Jahr in der Entwicklung waren. Ich erkenne die Innovationen, sehe, wie nachhaltig, funktionell und automatisiert die Branche geworden ist.
Verpackungs-Industrie: Sie leiten Bourquin und sind gleichzeitig im Vorstand des Schweizerischen Verpackungsinstituts (SVI). Wie schaffen Sie es, diese Rollen zu verbinden, und welche Herausforderungen bringt das mit sich?
Leischner: Es sind zwei sehr unterschiedliche Aufgaben, aber ich kann sie gut verbinden. Bei Bourquin habe ich meine täglichen Herausforderungen, beim SVI diskutieren wir neutrale, branchenrelevante Themen für die gesamte Verpackungsindustrie in der Schweiz. Ein Beispiel ist der Fachkräftemangel, von dem wir alle betroffen sind. Das SVI engagiert sich stark in der Aus- und Weiterbildung. Bei Bourquin setzen wir das auch konkret um, indem wir aktuell 18 Lernende haben und das noch ausbauen wollen. Daneben bieten wir den Mitarbeitenden Möglichkeiten zur Weiterentwicklung an.
Verpackungs-Industrie: Bourquin hat eine lange Geschichte und ist heute eines der führenden Unternehmen der Branche in der Schweiz. Was waren in den letzten Jahren die grössten Herausforderungen?
Leischner: Natürlich haben uns globale Themen wie die Pandemie, die Energiekrise und geopolitische Ereignisse stark beschäftigt. Doch dank der hohen Nachfrage nach Transportverpackungen standen wir gut da. Hinzu kamen Themen wie Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit, die strategische Entscheidungen erforderten. Diese haben wiederum neue Projekte und Teams hervorgebracht. Wir investieren derzeit 17 Millionen Franken in den Standort Oensingen, wo im November 2024 eine hochautomatisierte Anlage in Betrieb geht. Dadurch umgehen wir den Fachkräftemangel teilweise, brauchen aber höher qualifizierte Arbeitskräfte.
Verpackungs-Industrie: Sie haben bereits die Nachhaltigkeit angesprochen. Wie sehen Sie die Zukunft der Branche in diesem Bereich?
Leischner: Unser Wellkarton profitiert von einem funktionierenden Recyclingkreislauf, der seit Jahrzehnten existiert. Solche Kreisläufe gibt es leider noch nicht für alle Materialien. Wir müssen daran arbeiten, dass auch für andere Materialströme geschlossene Kreisläufe etabliert werden. Nachhaltigkeit ist für uns mittlerweile eine eigene Abteilung. An unserem Standort in Couvet wurde letztes Jahr eine Photovoltaikanlage installiert und auf den Dächern an den Standorten in Oensingen und in Schlieren läuft aktuell die Installation solcher Anlagen. Das Thema bringt jedoch auch einen hohen administrativen Aufwand mit sich, etwa durch neue Vorschriften wie die Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR), die eine umfangreiche CO₂-Bilanzierung erfordert. Das hat die Branche wachgerüttelt und beschäftigt sie sehr.
Verpackungs-Industrie: Welche Trends und Innovationen sehen Sie für die kommenden Jahre?
Leischner: Die Zukunft der Verpackung wird sich auf Kosteneffizienz, Flexibilität, Schnelligkeit und natürlich Nachhaltigkeit konzentrieren. Wichtig ist dabei immer der Produktschutz. Ziel ist es, Verpackungsabfälle zu reduzieren und gleichzeitig auch einzufordern, dass Foodwaste minimiert wird. Die Verpackungen der Zukunft werden leichter, effizienter und nachhaltiger entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Verpackungs-Industrie: Wie schätzen Sie insgesamt die Zukunft der Branche ein?
Leischner: Die Zukunft der Verpackungsbranche ist eng mit den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen und dem technologischen Wandel verknüpft. Nicht nur innerhalb der Branche, sondern gesamtwirtschaftlich gesehen stehen wir momentan vor ähnlichen Herausforderungen wie viele andere Industriezweige: Digitalisierung, Fachkräftemangel und ein immer schnelleres wirtschaftliches Umfeld. Es scheint, als würde sich die Welt jeden Tag schneller drehen, und das, was gestern galt, wird heute schon wieder infrage gestellt. In diesem Spannungsfeld müssen wir es schaffen, unser Tagesgeschäft weiterzuführen und gleichzeitig Krisen zu bewältigen. Das verlangt von Unternehmen, nicht nur umzudenken, sondern auch neu zu denken, um langfristig erfolgreich zu bleiben. Flexibilität und Innovationskraft werden hierbei entscheidend sein.
Zudem sehen wir einen demografischen Wandel, der die Art und Weise, wie Arbeit gestaltet wird, grundlegend verändert. Heute haben Mitarbeitende andere Anforderungen an ihre Arbeitsbedingungen. Es fällt auf, dass die junge Generation verstärkt nach flexiblen Arbeitsmodellen und vielseitigen Tätigkeiten verlangt. Diese Flexibilität ist mit unseren traditionellen Arbeitsstrukturen oft schwer zu vereinbaren. Diesen Wünschen müssen wir als Unternehmen jedoch nachkommen, um langfristig attraktiv zu bleiben.
Ein weiterer Aspekt ist, dass sich die Welt so schnell verändert, dass traditionelle Aus- und Weiterbildungsprogramme oft zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Unternehmen haben es heute zunehmend schwer, Mitarbeitende langfristig für die Ausbildung des Nachwuchses freizustellen. Die Anforderungen sind einfach zu gross geworden, um sich über mehrere Jahre auf eine Funktion oder einen Bildungsweg zu konzentrieren. Es wäre an der Zeit, Bildungswege zu modernisieren, zu verschlanken und zu spezialisieren, um schneller auf die sich verändernden Marktanforderungen reagieren zu können.
Verpackungs-Industrie: Welche Massnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Leischner: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir vor allem die bestehenden Herausforderungen annehmen und Kompromisse finden, bei denen sich alle Beteiligten irgendwo in der Mitte treffen können. Als Arbeitgeber ist es wichtiger denn je, attraktiv zu bleiben. Dies gelingt nicht nur durch finanzielle Anreize, sondern vor allem durch eine Kultur der Wertschätzung, Teamarbeit und des gegenseitigen Respekts. Diese Werte müssen im Mittelpunkt stehen, und wir bei Bourquin möchten uns in den kommenden Jahren noch intensiver darauf konzentrieren.
Letztlich ist auch der Weitblick entscheidend. Trotz der täglichen Herausforderungen, die auf meinem Schreibtisch landen – sei es der Kostendruck oder die raschen Veränderungen auf den Märkten – dürfen wir nicht den strategischen Weitblick verlieren. Hier spielen ein Controlling und entsprechende Anpassungen eine zentrale Rolle. Es hilft dabei, langfristige, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und diese genau zu bewerten: Was können wir tun, was bringt es uns, und ist es tatsächlich nachhaltig oder nur eine kurzfristige Modeerscheinung? Diese Fragen sind entscheidend, um in einer sich so dynamisch verändernden Branche wie der Verpackungsindustrie erfolgreich zu bleiben.
Verpackungs-Industrie: Wie integriert Bourquin moderne Technologien und Automatisierung in seine Prozesse?
Leischner: Wir haben zwei Grossprojekte in diesem Bereich. Das erste ist die neue Wellkartonanlage in Oensingen, die ein bedeutender Schritt in Richtung Digitalisierung und Automatisierung ist. Das zweite Grossprojekt ist die Einführung eines neuen Enterprise-Ressource-Planning (ERP)-Systems, das viele manuelle Prozesse automatisieren soll. Digitalisierung ist in der verarbeitenden Industrie angesichts des Fachkräftemangels ein Muss.
Verpackungs-Industrie: Welche Rolle wird das Schweizerische Verpackungsinstitut in den nächsten Jahren spielen?
Leischner: Das SVI (wie andere für die Verpackungsbranche relevante Plattformen) müsste die Interessen der Branche materialunabhängig vertreten und sich für Aus- und Weiterbildung stark machen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Viele Unternehmen und Mitglieder solcher Branchenplattformen müssen oft aus Kostengründen die Aus- und Weiterbildung hintenanstehen lassen. Aus meiner Sicht spart man am falschen Ort. Nur Überzeugungsarbeit und Sichtbarkeit sichern die Zukunft.
Gleichzeitig müssen wir aktiv die Entwicklungen aus Europa verfolgen und der Schweizer Verpackungsindustrie aufzeigen, welche Auswirkungen neue Regularien auf sie haben. Das ist der Mehrwert für sämtliche Mitglieder von entsprechenden Branchenplattformen. Wir vernetzen und treten als Einheit auf, um bestehen zu können und unsere Interessen zu vertreten. Für eine solche Überzeugung stehe ich mit meinem Einsatz in einer Plattform wie dem SVI ein.
Verpackungs-Industrie: Abschliessend: Was motiviert Sie persönlich in Ihrer Arbeit, und worauf sind Sie besonders stolz?
Leischner: Es motiviert mich, gemeinsam mit dem Team etwas bewegen zu können. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir durch unsere Investitionen die Arbeitsplätze in der Schweiz sichern und langfristig als Hersteller bestehen können.