Herr Engeler, aus welchen Geschäftsbereichen setzt sich die Relianz zusammen?
Andreas Engeler: Big Bags aus Kunststoffgewebe, industrielle Papiersäcke sowie weitere Sackverpackungen und Beutel aus verschiedenen Materialien individuell auf Kundenwunsch hergestellt sind unser grösster Bereich. Weiters handeln wir auch mit Werbetragtaschen hergestellt nach Kundenanforderung, Juteprodukten aller Art sowie Rohwolle. Unsere Wurzeln liegen im Handel und der Produktion von Juteprodukten. Jute ist eine natürliche pflanzliche Faser.
Wie ist diese Konstellation zustande gekommen?
Jute ist unser Ursprung, aber unser Hauptgeschäft sind heute Big Bags und Säcke. 1945 hat mit unserem Grossvater alles bei der Reparatur von gebrauchten Jutesäcken angefangen. Ende der 50er-Jahre hat er dann angefangen, neue Säcke herzustellen auch mit neuen Geweben. Damals ging ausserdem der Handel mit Ostpakistan (heute Bangladesch) und Indien los. Die Briten haben die Jute und die gesamte Verarbeitung ursprünglich nach Indien gebracht. Die Hauptstadt Indiens während der Zeit der Engländer war Kalkutta. Das Hauptanbaugebiet für die Jute liegt im Gangesdelta, das umfasst heute den indischen Bundesstaat «Westbengalen» sowie Bangladesch.
Jute kann unter anderem als textiles Verpackungsmaterial genutzt werden. Die Pflanzenfaser wird zu Garnen versponnen, danach werden Kett- und Schussfäden zu einem Gewebe verwebt, aus dem dann beispielsweise ein Sack genäht wird. Daneben kann Jute aber für viele andere Zwecke verwendet werden. Sowohl die Bändchengewebesäcke als auch die Big Bags sind in dem Sinne das Nachfolgeprodukt der Juteverpackungen, welche in den 80er-Jahren aufgekommen sind. Dannzumal war man in der Lage, Plastik so zu extrudieren, dass man in der Folge Garne mit einer genügend starken Reissfestigkeit herstellen konnte, die man anschliessend verwoben hat.
Was unterscheidet Polypropylen und Jutegewebe?
Unterschiede gibt es zum einen beim Rohstoff: Die Jute ist eine Pflanzenfaser, aus deren Garn, ein Naturfasergewebe, hergestellt wird. Kunststoffgewebe werden aus Garnen aus extrudiertem Polypropylen (PP) hergestellt – einem Derivat der Benzinproduktion.
Zum anderen gibt es beträchtliche Unterschiede in der Robustheit und im Gewicht. Für einen Jutesack, der 50 kg Material – egal welcher Art – hält, braucht man mindestens das doppelte Gewicht an Rohmaterial, was man beispielsweise an PP brauchen würde. PP ist erstens also leichter und zweitens sehr viel robuster.
Gibt es kundenseitig den Wunsch, Big Bags auch aus Jute herzustellen – sprich von Kunststoff den Schritt zurück zum Naturfasergewebe zu gehen?
Ja, der wurde schon öfter geäussert. Doch bisher habe ich diesbezüglich nichts gesehen, das sich auch nur ansatzweise rechnet. Wir haben dazu Studien gemacht: Um eine Tonne Material in Jute-Big-Bags zu transportieren, braucht man ungleich viel mehr Gewebeflächengewicht. Bei PP-Big-Bags sind wir bei einem Flächengewicht von 130g pro m2. Das wäre mit einem Jutesack nicht möglich: 130g pro m2 Jutegewebe zerreisst bereits bei einer Belastung von 20kg, bei PP erst bei einer Tonne. Die logische Folge für uns war dann, dass wir unseren Schwerpunkt auf PP-Big-Bags gelegt haben. Als diese Ende der 80-er aufgekommen sind, gab es grosse Produktionsstätten in der Türkei. Wir waren allerdings unter den ersten europäischen Unternehmen, die sich auf den Import dieser Verpackung aus dem asiatischen Raum konzentriert haben. Das ergab sich für uns, weil wir durch den Jute-Background jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Handelspartnern in Indien und Bangladesch haben. Wir wissen, wie wir uns dort verhalten müssen und auf was wir achten müssen.
Können Sie das genauer ausführen?
Hier kommt die Ecovadis-Zertifizierung ins Spiel. Das ist ein Gütesiegel, das nachweist, dass wir unsere Artikel nach modernen Grundsätzen einkaufen und weiterverkaufen und es legt grossen Wert auf ethisches Geschäftsgebaren. Das erlebt im Moment einen gewissen Schub, denn in der Schweiz haben wir den Konzernverantwortungsbericht, der für grosse Unternehmen seit dem 1. Januar 2023 live gegangen ist. Viele Firmen scheinen das nicht rechtzeitig auf dem Radar gehabt zu haben und waren deshalb froh, dass wir diese Zertifizierung schon gemacht hatten und sie so mindestens im Bereich Verpackungsmaterial «safe» waren.
War das aufwendig?
Wir haben es über ein Jahr lang aufgebaut. Relianz ist seit vielen Jahren ISO-9001-zertifiziert – eine gute Grundlage für Ecovadis. Letzteres auch zu machen, erschien uns sinnvoll in Bezug auf den Konzernverantwortungsbericht. Damit das aber einigermassen reibungslos und effzient erarbeitet werden konnte, haben wir zuerst noch die ISO-14001-Umweltzertifizierung gemacht. Durch die beiden ISO-Zertifikate war Ecovadis zwar immer noch aufwendig, aber trotzdem einfacher als ohne die vorgängigen Zertifizierungen und kommt so ergänzend hinzu.
Ist Ecovadis auch im internationalen Handel von Vorteil?
Unbedingt. In der Schweiz gibt es den Konzernverantwortungsbericht, in Deutschland das Lieferkettengesetz und in der Europäischen Union ist ein Gesetz in Vorbereitung, das diese Dinge für alle Länder in Europa regeln wird. Für uns als Handelshaus, welches jahrzehntelang in diesen Ländern arbeitet, ist das eine Chance: Man kann heute nicht mehr einfach irgendwo etwas zusammenkaufen und anderswo billig auf den Markt werfen im Sinne «nach mir die Sintflut». Ich sage jetzt nicht, dass wir applaudiert haben, als das gekommen ist, denn es war mit grösserem Aufwand verbunden. Doch wir sind überzeugt, dass es langfristig eine starke Professionalisierung unseres Geschäftes ist und die Spreu vom Weizen trennt.
Was bedeutet das für die Kunden?
Der Kunde sieht, was er kriegt. Hinter dem Qualitäts-Produkt, das er bei uns gekauft hat und für seine Zwecke weiterverwendet, steckt eine Fabrik, die alles zur richtigen Zeit produziert, eine Logistik, die das ganze zur richtigen Zeit aus der Fabrik nach Europa bringt, damit der Kunde seine Ware zeitgerecht bekommt. Darüber hinaus nden Qualitätskontrollen in der Fabrik statt und der gesamte Mindset dahinter ist stimmig: Das heisst, die Fabrik zahlt anständige Löhne, duldet keine Kinderarbeit und legt grossen Wert auf Arbeits- und Gebäudesicherheit, sowie Umweltschutz. Dies alles muss die Fabrik selbst durch unabhängige, weltweit anerkannte Zertifizierungsstellen zertifizieren lassen, die auch unangemeldete Besuche durchführen.
Was zeichnet Ihre Partnerfabriken aus?
Wir arbeiten mit etwa 10 bis 12 modernen und innovativen Fabriken für unsere diversen Produktebereiche zusammen. Teilweise haben wir mitgeholfen, diese Fabriken mit zu entwickeln und zu dem zu machen, was sie heute sind. Mit der bengalischen Big-Bag-Fabrik arbeiten wir seit bald 20 Jahren in einer engen Partnerschaft zusammen und haben die notwendigen Zertifikate gemeinsam erarbeitet. Dort ist man nicht von sich aus auf die Idee gekommen, ein FSSC-22000-Lebensmittelzertifikat, oder ein BSCI-Amfori-Nachhaltigkeits-Zertifikat zu machen. Wir haben das angestossen und sind den Weg mit ihnen gegangen. Es erforderte Investitionen, Zeit und Anstrengungen, um es so hinzubekommen. Doch wer in Europa oder der Schweiz verkaufen will, muss das in Zukunft haben. Wenn man es einmal aufgebaut hat, wird es ständig begleitet, geprüft und weiterentwickelt. Dann geht es fliessend in unsere Zertifizierungen – ISO 9001, HACCP und ISO 14001 – über. Nur mit den passenden Partnern, die bereit sind mitzumachen, hat man eine gemeinsame Zukunft. Von unseren Partnern verlangen wir, dass sie qualifizierte Mitarbeiter haben, die sie anständig bezahlen. Mit diesen Zertifikaten steigt die Qualität der Fabrik und der Umgebung. Unsere Fabriken haben eigene Unterkünfte, medizinische Versorgung und die Versorgung der Mitarbeitenden mit Nahrung und Wasser sind geregelt. Das ganze Umfeld der Fabrik profitiert davon und die Leute identifizieren sich mit dem Unternehmen. Wir wissen mittlerweile recht gut, auf was wir achten müssen und schauen genau hin. Dazu gehört eben auch, dass wir seit über 60 Jahren regelmässig selbst vor Ort reisen und die Fabriken mit Know-how unterstützen.
Sie gehen also mit der Zeit. Welche Stärken helfen Ihnen dabei?
Wir sind breit aufgestellt und flexibel. Schön ist, dass der Kunde bei uns sowohl Grossverpackungen als auch kleinere Säcke kaufen kann. Wenn er noch einen Shop hat, kann er bei uns auch Papiertüten bekommen und die Tragtaschen noch dazu. Es gibt immer wieder Änderungen und man muss immer ein bisschen dranbleiben und schauen, was geht und was nicht. Die Märkte und Kunden ändern sich; Alte fallen weg, dafür kommen Neue hinzu. Das ist der Lauf der Zeit. Was nicht mehr geht, ist, fehlende Anpassungsbereitschaft nach dem Motto «Ich verkaufe eine Sache und das funktioniert». Das geht vielleicht fünf Jahre gut, dann nicht mehr. Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen, man sieht es ein bisschen kommen, aber wenn man nichts tut, ist es nicht gut. Man muss sich immer wieder etwas Neues überlegen.
Nur bei den Produkten oder auch bei Infrastruktur und Abläufen?
Rundum. Man muss auch bei den Arbeitsgeräten mit der Zeit gehen. IT ist sicher ein grosses Thema. Was wir alles mit gerade einmal 15 Leuten machen, könnten wir nie schaffen, wenn wir die IT nicht hätten. Digitalisierung ist bei uns schon seit Jahrzehnten ein Thema. Das ist vielleicht auch dem geschuldet, dass ich im IT-Bereich gearbeitet habe, bevor ich ins Unternehmen eingetreten bin. Wir hatten das Glück, dass auch mein Bruder und Partner sehr IT-affin ist, und dass wir das miteinander entwickeln konnten. Dazu haben wir einen guten Software-Entwickler an der Hand, der diese ganzen Ideen umsetzen kann, so dass wir heute länderübergreifend in alle Filialen und teilweise mit unseren Lieferanten auf dem gleichen System arbeiten. Das Schweizer Team kann zum Beispiel den Lagerbestand in Frankreich einsehen und dort sieht man, was in Italien an Lager ist. So können wir untereinander den Warenfluss optimieren, das Sortiment vergrössern und die Lieferzeiten für die Kunden verkürzen.
Gibt es aktuelle Entwicklungen, auf die Sie besonders stolz sind?
Wir haben in den letzten 18 Monaten eine Zusammenarbeit mit #Tide Ocean Material aus Basel aufgebaut. Angefangen haben wir damit, unsere Big Bags aus 30 Prozent recyceltem Ozeankunststoff, welchen wir von #Tide beziehen, herstellen zu lassen. Das Projekt ist aber damit noch nicht abgeschlossen. Wir haben weitergemacht und seit Anfang Juli 2023 sind wir in der Lage, die Big Bags aus 50 Prozent recyceltem Material herzustellen.
Seit kurzem ist dieser ganze Prozess inklusive dem Nachweis des Einsatzes von mindestens 30 Prozent PCRMaterial von einem europäischen, akkreditierten Institut zertifiziert. Wir erfüllen in dem Bereich schon heute das Verpackungsgesetz der Europäischen Union welches ab 2030 gelten soll. Als nächstes wollen wir Tragtaschen mit #Tide Ocean Material herausbringen, da haben wir soeben die Tests mit 80 Prozent Recyclingmaterial erfolgreich abgeschlossen. Ausser dem durften wir für den Jungfrau-Marathon (8./9. September 2023) die sogenannten Effektensäcke mit 30 Prozent PCR #Tide Ocean Material als Pilotprojekt produzieren.
Ruhen Sie sich jetzt auf Ihren Lorbeeren aus?
Klar könnten wir sagen, dass es jetzt gut ist und aufhören, aber wir bleiben immer dran, denn es macht ja auch Spass. Man lernt neue Menschen kennen, bekommt neue Ideen und gelegentlich ergibt sich daraus ein spannendes, neues Projekt.