Momentan ist ein «Run» weg von Kunststoff hin zu Papier zu beobachten. Diese Papierlösungen sollen die gleichen Eigenschaften wie bisherige Kunststoffe aufweisen in der möglichst gleichen Anwendungstiefe. Dieser Umstand ist wohl mit einer gehörigen Portion Wunschdenken ausgestattet. Papier/Karton kann per se nicht die gleichen physikalischen Eigenschaften aufweisen, sprich es muss modifiziert werden. Nur stellt sich die Frage, womit es modifiziert werden darf. In der EU gibt es die Single-Use Plastik Directive (SUPD) – 2019/904, die z. B. bei Coffee-to-go-Bechern keinen Kunststoff-Anteil mehr zulässt. Bisher hat der Kunststoff-Anteil dafür gesorgt, dass die Flüssigkeit nicht in Kontakt mit dem Papier/Karton kommt und das Produkt daher stabil ist. Womit werden nun Papiere jetzt modifiziert? Das ist z. T. ganz schwierig zu ermitteln, da häufig die notwendige Transparenz fehlt. Ferner fehlt eine klare Abgrenzung, ab wann ein Zusatz noch oder schon wieder ein Kunststoff ist. Dieses Beispiel zeigt, man muss sich sehr intensiv mit der Zusammensetzung derartiger Produkte auseinandersetzen. Das geht nicht ausschliesslich über Zertifikate, sondern nur über Offenlegungen der Zusammensetzung.
Widmen wir uns der Recycle-Fähigkeit. Auch hier wird sehr viel über Zertifikate geregelt. Dass ein Material recyclefähiger ist, je weniger Schichten es hat – also am besten ein Monomaterial ist –, liegt auf der Hand. Nur wie verhält es sich dann mit der Sicherheit der Monomaterialien resp. wie gewährleistet man diese, da man doch über Jahre eher auf Multi-Layer-Materialien gesetzt hat, um die tiefen Migrationswerte einzuhalten. Hier muss man sicherlich sehr intensiv beobachten, wie das gelöst wird sprich wie denn Barriere-Leistungen überhaupt geprüft werden.
Das letzte Spannungsfeld dieser Rubrik ist das Recycling selbst. Im Lebensmittelbereich ist derzeitig nur PET-Material einsetzbar, da hier eine ausreichende Reinigungseffizienz gezeigt werden kann – bei Polyolefinen gelingt das nicht. Recycling ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch hier zeigt sich, dass das Sicherheitsthema an Fahrt aufnimmt. Denn zum einen wurden mit der erneuerten Recycling-VO 2022/1616 der EU und mit dem jetzt gerade zur Konsultation anstehenden Draft zum 18. Amendment der EU-Kunststoff-Verordnung Sicherheitshürden für Substanzen, die nicht eindeutig identifiziert werden können, auf einem Niveau von 0,15 μg/kg eingezogen. Nur hat man vergessen zu erwähnen, wie man das überhaupt chemisch-analytisch überprüfen kann. Leider ist es generell ein Trend, dass man die analytische Chemie zu Lasten der Toxikologie unterbewertet, und damit die Machbarkeit. Ein Messen auf diesem sehr tiefen Niveau ist kaum möglich. Kann man das nicht zeigen – hier sind dann auch die Rezyklierer in der Pflicht –, ist das Produkt eigentlich nicht Rechtskonform. Dieses Spannungsfeld aufzulösen, bleibt die grosse Herausforderung der nächsten Zeit. Fakt ist, man muss deutlich mehr in die Tiefe gehen – entweder mit eigenen Ressourcen oder unter Zuhilfenahme Dritter.
Man kann sich leider des Gefühls nicht erwehren, dass sich die linke Hand («wir müssen mehr rezyklieren») nicht mit der rechten Hand («wir benötigen tiefere Grenzwerte, um Sicherheit zu gewährleisten») austauscht. Dieses Dilemma gilt es unbedingt mit eher pragmatischen Ansätzen zu lösen. Einer davon wäre, mehr über Expositionsszenarien nachzudenken, als ausschliesslich den Hazard-Gedanken zu verfolgen, wenn man denn mehr Recycling-Material möchte.
Dr. Thomas Gude, ist Inhaber der Thomas Gude GmbH www.thomasgude-gmbh.ch