Seit mehr als acht Jahren prägt Carsten Diekmann als Geschäftsführer die Strategie der Georg Utz AG, Bremgarten die Teil der international aktiven Utz Group ist. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Bremgarten (AG) gilt als Vorreiterin für langlebige Mehrwegverpackungen aus Kunststoff. Im Interview spricht Diekmann über die CO₂-Hebel in der Kreislaufwirtschaft, Standardisierung als Effizienzfaktor und den Wandel im internationalen Marktumfeld. Dabei gibt er Einblicke in aktuelle Projekte, langfristige Visionen – und seine persönliche Haltung zu Verantwortung und Wandel.
Verpackungs-Industrie: Herr Diekmann, Utz versteht sich als Vorreiterin in der Kreislaufwirtschaft. Wo sehen Sie aktuell die grössten Hebel zur CO₂-Reduktion?
Carsten Diekmann: Ganz klar im Material. Etwa 85 Prozent unseres CO₂-Fussabdrucks liegen im Bereich Scope 3, also hauptsächlich beim Rohstoffeinsatz. Wenn wir statt Neuware Sekundärrohstoffe einsetzen, können wir etwa 60 Prozent CO₂ einsparen. Der grösste Hebel ist also: Rezyklate statt Rohöl. Und das nicht nur, weil es ökologisch sinnvoll ist, es wird auch zunehmend wirtschaftlich relevant. Inzwischen wollen auch unsere Kunden aktiv zur CO₂-Reduktion beitragen und fragen gezielt nachhaltige Materialien sowie Produkte aus Sekundärrohstoff nach. Der achhaltigkeitsbericht nennt 2035 als Ziel für 80 Prozent Rezyklatanteil. Wo stehen Sie heute? Wir liegen aktuell bei gut 30 Prozent, je nachdem, was man einrechnet. Das Ziel ist ambitioniert, aber erreichbar, wenn wir gemeinsam mit unseren Kunden daran arbeiten. Es geht nicht nur um den Einsatz, sondern auch um die Akzeptanz und das Bewusstsein. Man muss den Mehrwert kommunizieren – wirtschaftlich, ökologisch und funktional. Und: Wir müssen das Rezyklat in der Qualität verfügbar achen, die der Markt braucht.
Sie haben dafür die Marke «UIC – Utz Industrial Compounds» eingeführt. Was steckt dahinter?
UIC steht für aufbereitete hochwertige Rezyklate mit klar definierter Qualität. Wir testen die Materialien umfangreich und erstellen Datenblätter, auf die sich unsere Kunden verlassen können. Der Begriff «Compound» signalisiert Wert, da es mehr ist als ein Abfallprodukt. Und er erlaubt eine gewisse emotionale Aufladung, die das Material in ein neues Licht rückt. Der Kunde soll nicht das Gefühl haben, Kompromisse einzugehen, sondern mit gutem Gewissen ein vollwertiges Produkt zu bekommen.
Wie weit sind Sie mit der Rückverfolgbarkeit über die «Utz ID»?
Die Utz ID wird künftig die Material- und Produktionsdaten jedes Produkts digital erfassbar machen. Damit schaffen wir Transparenz über den gesamten Lebenszyklus. Das ist ein wichtiger Baustein für eine echte Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig bauen wir die Infrastruktur auf, um eine zukünftige Lizenz als Recyclingbetrieb zu ermöglichen. Das Ziel ist, unseren Materialkreislauf vollständig zu schliessen, inklusive ücknahme, Sortierung und Wiederaufbereitung.
Auch bei der Energie haben Sie ambitionierte Ziele.
Ja, bis 2030 wollen wir gruppenweit nur noch Strom aus erneuerbaren Quellen nutzen. In der Schweiz sind wir bereits so weit mit Wasserkraft, eigener Photovoltaik und Fernwärme. Andere Länder ziehen nach. In Polen oder England gibt es mittlerweile gute Anbieter für grünen Strom. Inzwischen denken wir auch über Speicherlösungen und Eigenverbrauchsoptimierung nach. In Bremgarten sind wir seit 2023 an das lokale Fernwärmenetz angeschlossen. Damit sparen wir jährlich rund 80 000 Liter Heizöl.
Mehrwegverpackungen gelten als nachhaltig, müssen aber auch wirtschaftlich sein. Wo liegen hier die Herausforderungen?
Entscheidend ist das Verständnis für die Total Cost of Ownership (TCO). Ein günstiger Behälter kann teurer werden, wenn er nicht hält, was er verspricht. Unsere Produkte sind für automatisierte Prozesse gemacht – langlebig, stabil und standardisiert. Die Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren senkt die Kosten pro Nutzung massiv. Aber es braucht Aufklärung. Ein gutes Beispiel ist unsere gute Zusammenarbeit mit der schweizerischen Post: Die grauen Briefbehälter sind aus 100 Prozent Sekundärrohstoff – das rechnet sich, wenn man langfristig denkt. Und es senkt massiv den CO₂-Fussabdruck der verwendeten Kunststoffbehälter sowie der gesamten Supply Chain.
Standardisierung ist ein zentrales Thema Könnte Utz mit bestimmten Lösungen eine ähnliche Bedeutung erlangen wie der ISOContainer in der Seefracht?
In einzelnen Branchen haben wir das auf Grundlage der ISO-Modulordnung schon erreicht. Etwa mit dem VDA-Kleinladungsträger in der Automobilindustrie oder mit AutoStore-Behältern in der Intralogistik. Es gibt keinen universellen Standard, aber wir entwickeln mit unseren Kunden branchenspezifische Lösungen, die sich durchsetzen. Standards entstehen nicht durch Vorschrift, sondern durch gelebte Praxis. Wir beobachten dabei ständig, wie sich Marktanforderungen und Kartongrössen erändern und passen unsere Produktmasse entsprechend an.
Wie verändert sich dabei die Logistik?
Die Verpackung muss sich anpassen. Kartons aus Übersee haben oft andere Masse, da entwickeln wir passende Behälter, die sich modular in bestehende Systeme einfügen. Die Behälter werden grösser, aber bleiben kompatibel. Und durch Digitalisierung, etwa mit RFID und Sensorik, können wir heute viel mehr mit der Verpackung «denken». Im Hintergrund arbeitet bei uns ein Team an digitalen Zwillingen, Trackand- Trace-Anwendungen und der Integration in automatisierte Lager- und Kommissioniersysteme
Was kann Utz in Bezug auf Sicherheit und Spezialanwendungen leisten – etwa bei Elektrostatik oder Explosionsschutz?
Wir bieten spezielle Gebinde mit elektrisch ableitfähigen oder flammhemmenden Materialien an, zum Beispiel für Elektronik oder Chemikalien. Diese Lösungen entstehen oft im engen Austausch mit der Industrie. Ein grosser Schweizer utomobilimporteur etwa arbeitet mit sauerstoffreduzierten Lagern. Auch für Reinräume oder Gefahrstofflager bieten wir spezifische Lösungen. Und immer wichtiger wird dabei die Frage: Welche Additive sind langfristig gesundheitlich unbedenklich? Hier achten wir sehr genau auf regulatorische Entwicklungen und übernehmen Verantwortung.
Wie positioniert sich Utz in der Schweiz im internationalen Vergleich?
Wir sind wettbewerbsfähig, weil wir hochautomatisiert und effizient produzieren. Die Qualität der Fachkräfte ist in der Schweiz hervorragend, das duale Bildungssystem ist ein echter Vorteil. Zudem investieren wir kontinuierlich in moderne Anlagen. Das erlaubt uns, auch aus der Schweiz heraus internationale Kunden zu bedienen. Ein Beispiel ist der RAKO-Behälter: Ein Produktklassiker, der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist.
Woher stammt eigentlich der Name «RAKO»?
Der Name leitet sich von «Rahmenkonstruktion » ab. Die charakteristischen Rippen an der Aussenseite erinnern an einen antiken griechischen Tempel. Sie sorgen für besondere Stabilität. Dass der Produktname heute oft bekannter ist als der nternehmensname, zeigt, wie stark sich Qualität als Marke durchsetzen kann. Ähnlich wie das Tempo-Taschentuch von Beiersdorf oder die Nutella-Nusscreme von Ferrero.
Die neue EU-Verpackungsverordnung fordert hohe Rezyklatanteile. Sind Sie vorbereitet?
Ja, wir können diese Anforderungen dank unserer Materialstrategie und Produktgestaltung bereits heute erfüllen. Die PPWR wird für viele ein Weckruf, aber für uns ist sie eher ein Katalysator. Wichtig ist: Rezyklate müssen zugänglich und bezahlbar bleiben. Deshalb engagieren wir uns in Brancheninitiativen und Forschung. Und wir beraten unsere Kunden proaktiv, damit sie regulatorisch auf der sicheren Seite sind.
Sie haben selbst internationale Erfahrung. Wie stark spüren Sie die kulturellen Unterschiede in der Unternehmensführung?
Sehr deutlich. Ich war mehrere Jahre in England. Dort gibt es keine duale Ausbildung wie bei uns. Vieles ist angelernt. Die Wertschätzung für gut ausgebildete Fachkräfte ist deshalb bei uns ein echter Wettbewerbsvorteil. Aber auch Führungsstile, Entscheidungswege und Kommunikationskulturen unterscheiden sich. Es braucht interkulturelle Kompetenz, gerade wenn man Werke auf drei Kontinenten betreibt.
Gibt es bei Utz auch eine hohe Mitarbeiterbindung?
Ja, das ist uns wichtig. Viele Mitarbeitende sind seit zehn, 20 oder mehr Jahren bei uns. Gleichzeitig brauchen wir auch mal frischen Wind. Es geht um die richtige Mischung: Neue Ideen treffen auf Erfahrung. Wir investieren viel in Aus- und Weiterbildung, bieten flexible Modelle an und fördern internationale Erfahrung. Das macht uns attraktiv – auch im Wettbewerb um Talente.
Wie begegnet Utz dem Fachkräftemangel; gerade in technischen Berufen?
Wir setzen auf Eigengewächse, also auf Ausbildungsprogramme und langfristige Mitarbeiterentwicklung. Kooperationen mit Schulen, Hochschulen und Initiativen helfen uns, junge Talente früh zu erreichen. Zudem bauen wir internationale Austauschprogramme aus. Das stärkt die Verbundenheit zur Gruppe und fördert Perspektivenwechsel. Auch unsere Teilnahme an Berufsmessen und die enge Zusammenarbeit mit der Stiftung PUSH in Zürich sind Teil unserer Nachwuchsstrategie.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft – für Utz und für die Branche?
Mehr Mut zur Zusammenarbeit. Viele Herausforderungen, etwa bei der Kreislaufwirtschaft oder bei Standards, können wir nur gemeinsam mit Kunden, Partnern, Politik und Gesellschaft lösen. Ich wünsche mir, dass wir den Wandel nicht nur technisch, sondern auch kulturell gestalten. Mit Weitsicht, Offenheit und echter Verantwortung. Nachhaltigkeit braucht keine Einzelkämpfer – sondern ein gutes Zusammenspiel.